Zur Zukunft des Lernens
Wie würden Sie am liebsten lernen – wenn Sie es sich frei aussuchen könnten?
Am liebsten wie unser 2-jähriger Sohn Yannik – genauso begeistert und unermüdlich, er saugt alles auf wie ein Schwamm und freut sich überschwenglich über alles, was er neu dazu gelernt hat. Zum Teil ist es ja bereits schon ansteckend, aber ich wünschte, ich könnte genauso motiviert und experimentierfreudig wie er permanent Neues dazu lernen. Das bedeutet für mich die ultimative Unabhängigkeit, man ist sich selbst genug!
Wie vermuten Sie, dass Ihre Kinder/Enkel lernen werden?
Ich denke nicht, dass sich extrem viel verändern wird. Zum Teil finde ich es auch eher erschreckend, wie wenig sich in unserem Bildungssystem verändert. Kinder werden natürlich immer mehr in ihrem Lernverhalten von Medien beeinflusst – vermutlich jedoch stärker außerhalb der Institution Schule. Die Optionen für die nächsten Generationen werden auf alle Fälle zunehmen: Sie werden mehrere Berufe erlernen und Erfahrungen in unterschiedlichen Kontexten, auch im Ausland, sammeln.
Welche Probleme erwarten Sie in Zukunft?
Aus gesellschaftlicher Perspektive bleibt das Problem der ‚Digital Divide‘ nach wie vor bestehen, nur auf höherem Niveau. Organisationen werden mit dem Problem der demographischen Entwicklung sowie (lern) kulturellen Problemen konfrontiert. Diese führen letztendlich zu vielen Widersprüchen – so wird beispielsweise die formale Freiheit zum Selbstlernen postuliert, aber es fehlen die zeitlichen und räumlichen Rahmenbedingungen, sie zu nutzen, d.h. die alten Grenzen bestehen fort. Für jeden Einzelnen wird es zunehmend ein Problem, mit dem ‚Information Overload‘ umzugehen, sich auf die richtigen Prioritäten zu fokussieren und eine sinnvolle Vernetzung von Wissen zu organisieren. Nur so können sich jedoch Kompetenzen entwickeln, die in der Praxis tatsächlich langfristig Bestand haben.
Welche Probleme werden wir in Zukunft lösen?
Die technologischen Probleme kriegen wir eher in den Griff. Auch werden sich zunehmend neue, geeignete Lern- und Wissensmanagementmethoden etablieren. Die gesellschaftspolitischen und kulturellen Probleme werden eher bestehen bleiben.
Welche Chancen für die Zukunft verbinden Sie mit den aktuell sich abzeichnenden (technischen) Entwicklungen?
Bezogen auf den Lern- und Wissensmanagementbereich vor allem zwei Entwicklungen:
– im Bereich Simulation, virtuelle 3-D Welten, massively multiplayer online role-playing games (MMORPGs): Sie ermöglichen uns realitätsgetreue Experimentierfelder, mit denen sehr viel Emotionen transportiert und intensive Lernerlebnisse erzeugt werden können – das ist ein bisschen ‚Holodeck-mäßig‘. Dieses Anwendungsfeld wird sich ausweiten, z.B. auch für Leadership Trainings für Nachwuchskräfte. Dadurch ergeben sich neue Potenziale für die Entwicklung überfachlicher Kompetenzen wie Sozialkompetenzen und emotionale Intelligenz. Die heute noch häufig zitierte Aussage ‚eLearning ist nicht geeignet für soft skills‘ wird revidiert werden müssen,
– im Bereich Kommunikation: Videoconferencing auf völlig neuem Niveau, die Qualität der Übertragung wird sich extrem verbessern und das zu einem kostengünstigen Preis. Dies wird sehr für eine zunehmende Verbreitung sorgen, besonders im privaten Bereich. Irgendwann werden zwei Familien gemeinsam brunchen, jeweils vernetzt mit einem großen Bildschirm. Alle werden das ganz normal finden, auf diese Art und Weise informell Zeit miteinander zu verbringen und sich auszutauschen. Die Diskussionen um face-to-face Meetings versus virtuelle Kommunikation wird irgendwann die Leute genauso befremden wie uns heute die Anekdoten aus dem 19. Jahrhundert, als das Telefon eine Merkwürdigkeit darstellte und vielen Angst einjagte.
Auf was müssen sich Unternehmen einstellen? Mit welchen Anforderungen werden sie im Umfeld von Wissen konfrontiert werden?
Die effektive Nutzung des Wissens ist und wird zunehmend ein entscheidender Wettbewerbsfaktor sein – das ist nichts Neues, dennoch sind wir noch nicht in der sog. ‚Wissensgesellschaft‘ angekommen. Die zentrale Anforderung an die Unternehmen wird es daher sein, diesen Schritt konsequent zu verfolgen, Widersprüche aufzudecken und nicht nur mit Lippenbekenntnissen schnell abzuhaken. Insbesondere Bildungsverantwortliche in Unternehmen und Organisationen werden dabei immer stärker mit folgendem Spannungsfeld konfrontiert: Einerseits mit den immer schneller werdenden Technologiezyklen mitzukommen, das heißt z.B. Social Software, Web 2.0 Umgebungen und mobile learning in ihre Konzepte zu integrieren. Andererseits stehen sie immer mehr vor Herausforderungen langfristiger Natur: Lernen in Unternehmens- und Führungskulturen zu verankern, individuelle Lerngewohnheiten sowie selbstgesteuertes und eigenverantwortliches Lernen zu fördern. Für viele Unternehmen wird es eine der größten Herausforderungen darstellen, die weit verbreitete Kultur des Herrschaftswissens sowie starre Hierarchie- und Kommunikationsstrukturen zu durchbrechen. Erst dann sind wir in der Wissensgesellschaft angekommen.